Insgesamt 14 Wasserspeier befinden sich auf den Strebepfeilern um die St. Stephani-Kirche in Calbe. Unter den steinernen Figuren finden sich Darstellungen von Menschen und Tieren, aber auch von Fabelwesen und Dämonen. Einer der Wasserspeier zeigt eine bösartige judenfeindliche Karikatur. Sie ist Zeugnis jahrhundertlanger Judenfeindschaft und war für den Gemeindekirchenrat in Calbe und die Evangelische Akademie Sachsen-Anhalt der Anlass, sich mit dem Figurenkranz und der eigenen Geschichte des Antisemitismus näher auseinanderzusetzen.
Die lange Geschichte der Feindschaft gegen Jüdinnen und Juden bedarf heute nach wie vor einer kritischen Aufarbeitung. Mit dem hier initiierten Projekt möchten der Gemeindekirchenrat in Calbe und die Evangelische Akademie Sachsen-Anhalt dazu beitragen, das Thema in den Blick zu rücken und für antijüdische Bildwerke im öffentlichen Raum zu sensibilisieren.
Was bedeuten die Wasserspeier?
Wasserspeier in Tier- oder Menschengestalt finden sich immer wieder an gotischen Kirchen. Oft werden auch Mischwesen – halb Tier, halb Mensch – dargestellt. Die meisten dieser Figuren stammen aus dem Spätmittelalter und hatten zunächst vor allem eine bauliche Funktion. Mit der Zeit erhielten die Figuren aber auch einen symbolischen oder allegorischen Gehalt.
Was genau die Wasserspeier an gotischen Kirchen aussagen, wird von Fachleuten heute unterschiedlich bewertet. Während manche Forscherinnen und Forscher davon ausgehen, dass die steinernen Figuren Unheil von der christlichen Gemeinschaft abhalten sollten, interpretieren sie andere als Mahnung gegenüber den Gläubigen. Möglich ist aber auch, dass an Kirchen angebrachte Wasserspeier ohne besondere symbolische Bedeutung gefertigt worden sind und in erster Linie einen spielerischen Ausdruck der damaligen Steinmetze darstellten.
Die Figuren in Calbe sind unechte Wasserspeier. In Ihrer heutigen Gestalt haben Sie keine bauliche Funktion, man bezeichnet sie deshalb auch als blinde Wasserspeier. In älteren Quellen sind die Calbenser Figuren oft als Hohn- und Spottbilder beschrieben worden. Ob das auf alle 14 Darstellungen zutrifft, können wir heute aber nicht mit Sicherheit sagen.
Auf wann datieren die Figuren?
Kunsthistorische Untersuchungen und Archivrecherchen legen nahe, dass die blinden Wasserspeier an der St. Stephani-Kirche erst im 19. oder frühen 20. Jahrhundert gefertigt worden sind. Vermutlich ersetzten sie wiederum Figuren aus dem Spätmittelalter, die bereits im seit dem frühen 15. Jahrhundert auf den Strebepfeilern ruhten. Viele der Wasserspeier sind im Laufe der Zeit also mindestens einmal ausgebessert oder ausgetauscht worden.
Dabei dürften sich die Figuren von damals von den heutigen Motiven unterschieden haben. Denn auch wenn das Bildprogramm an der St. Stephani-Kirche mittelalterlich anmutet, entsprechen die Wasserspeier nicht der damaligen Darstellungspraxis. Vielmehr scheint es so, als habe hier jemand das Mittelalter zu imitieren versucht: Während viele der Bildmotive tatsächlich einen Bezug zum Mittelalter aufweisen, entstammt die Machart der Figuren einer deutlich späteren Zeit.